Die Elektrolokomotive ES64F4 ist eine Variante der EuroSprinter-Lokfamilie von Siemens Mobility (vormals Siemens Transportation Systems) mit Viersystemausstattung. In Deutschland sind sie vor allem als Baureihe 189 der Deutschen Bahn im Einsatz. Sie sind in allen vier in Europa üblichen Bahnstromsystemen einsetzbar. Auf den britischen Inseln ist wegen der dortigen engeren Fahrzeugbegrenzungslinie abseits der High Speed 1 kein Einsatz möglich. Drehgestelle für die Breitspuren in Spanien, Portugal, Finnland sowie in mehreren Ländern Osteuropas wären technisch möglich, breitspurige Ausführungen wurden jedoch nicht bestellt. Viersystemlokomotiven sind in den Breitspurnetzen allerdings auch nicht notwendig. Für die verschiedenen Bahngesellschaften können die jeweils erforderlichen Zugbeeinflussungskomponenten als „Paket“ installiert werden.
Siemens ES64F4 | |
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189 067 vor einem Güterzug bei Unkel | |
Nummerierung: | u. a. DB 189 001–089, 189 100 MRCE 189 090–099 SBB Re 474 001–018 |
Hersteller: | Siemens |
Baujahr(e): | 2003–2005 |
Achsformel: | Bo’Bo’ |
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) |
Länge über Puffer: | 19 580 mm |
Drehgestellachsstand: | 2900 mm |
Dienstmasse: | 87 t |
Radsatzfahrmasse: | 21,75 t |
Höchstgeschwindigkeit: | 140 km/h |
Stundenleistung: | 3000–4200 kW (1,5 kV =) 6000 kW (3 kV =) 6400 kW (15 kV / 25 kV ~) |
Anfahrzugkraft: | 300 kN |
Leistungskennziffer: | 73,6 kW/t |
Stromsystem: | 15 kV, 16,7 Hz ~ 25 kV, 50 Hz ~ 1,5 kV = 3 kV = |
Anzahl der Fahrmotoren: | 4 |
Antrieb: | Tatzlager |
Neben der Fähigkeit, unter allen vier in Kontinentaleuropa üblichen Stromsystemen zu verkehren, besitzen die Lokomotiven eine anpassbare, LED-basierende Beleuchtung, mit der fast jedes Signallicht des jeweiligen Landes angezeigt werden kann. Für die verschiedenen Bahngesellschaften können die jeweils erforderlichen Zugbeeinflussungskomponenten als „Paket“ installiert werden. Diese Pakete werden in Varianten erfasst:
Variante | VA | VD | VE | VF | VI | VJ | VK | VL | VM | VO | VP |
Deutschland | X | X | X | X | X | X | X | X | |||
Österreich | X | X | X | X | |||||||
Schweiz | X | ||||||||||
Italien | X | X | X | X | X | X | |||||
Slowenien | X | X | X | X | |||||||
Kroatien | X | X | X | X | |||||||
Niederlande | X | X | X | X | X | ||||||
Belgien | X | ||||||||||
Polen | X | X | X | ||||||||
Tschechien[1] | X[* 1] | ||||||||||
Rumänien | X | ||||||||||
Ungarn | X |
Die Lokomotiven haben eine elektrische Bremse und Scheibenbremsen. Diese sind wegen der vergleichsweise geringen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h und aus Kostengründen als Radscheibenbremsen ausgeführt, der Hochleistungsantrieb mit abgefederten Bremswellen (HAB) der Lokomotiven des Typs ES 64 U2 wurde nicht verwendet. Die Konstruktion der Lok ist aber so ausgelegt, dass auch eine Version mit einer Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h möglich ist.
Der ölgekühlte Leistungstransformator ist unterflur angeordnet, während er in der herkömmlichen Bauweise im Lokkasten untergebracht war. Dadurch wurde im Lokkasten ein durchgehender Mittelgang zwischen den Führerständen ermöglicht. Beiderseits des Mittelgangs befinden sich die Stromrichtergestelle. Je ein Stromrichtersatz versorgt die Fahrmotoren eines Drehgestelles. Er besteht aus Gleichrichtern, die die Sekundärspannung des Transformators zunächst in Gleichstrom umwandeln, sowie jeweils drei Motorstromrichtersätzen. Zur Glättung der Zwischenkreis-Gleichspannung sind Stützkondensatoren und Saugkreisdrosseln vorhanden. Die zeitlich versetzt taktenden Motorstromrichter formen den Gleichstrom in Drehstrom um und versorgen die Fahrmotoren einzeln. Dadurch können diese auch einzeln geregelt und der Reibwert Rad-Schiene optimal ausgenutzt werden.
Beim Betrieb in Gleichstromnetzen wird die Fahrleitungsspannung direkt in die Zwischenkreise eingespeist, wobei die Sekundärwicklungen des Trafos als Netzfilterdrossel genutzt werden.
Die Stromrichter ermöglichen zusammen mit der elektrischen Bremse auch eine Bremsstrom-Rückspeisung mit einer Bremsleistung von theoretisch 6,4 MW. Die Bremskraft ist aber aus Gründen der Entgleisungssicherheit auf 150 kN begrenzt.
Weitere hauptsächliche Baugruppen im Maschinenraum sind die Lüftertürme für die Fahrmotoren und die Stromrichter. Die Fahrmotoren befinden sich direkt an den je zwei Radsätzen in den zwei Drehgestellen. Aus Massegründen mussten die Seitenwände der Lokkästen zur Versteifung mit Sicken versehen werden. Obwohl die Maschinen vor allem für den Güterverkehr vorgesehen sind, sind sie durch die Ausrüstung mit Anschlüssen zur Speisung der Zugsammelschiene und der UIC-Leitung im Reisezugdienst verwendbar. Die zeitmultiplexe Wendezug- und Vielfachsteuerung ermöglicht den Einsatz in Mehrfachtraktion auch baureihen- und herstellerübergreifend.
Im August 1999 bestellte DB Cargo im Rahmen einer Option 100 Lokomotiven der Baureihe 189.[2] Im Juli und August 2003 wurden mit den ES 64 F4 001 und ES 64 F4 002 die beiden ersten Maschinen bei Siemens Transportation Systems fertiggestellt.[3] Anfang August 2003 wurden die ersten Lokomotiven der Baureihe 189 im Plandienst gesichtet.[4]
Die Lokomotiven werden wegen ihrer Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h[2] (optional jedoch auf 230 km/h aufrüstbar[2]) fast ausschließlich vor Güterzügen eingesetzt. Sie befinden sich im Eigentum der DB Cargo Deutschland.
Vom 19. bis 21. November 2002 fanden mit der 189 001 mehrere lauftechnische Messfahrten in Ungarn statt. Wegen der fehlenden MÁV-Zugbeeinflussung wurde das Fahrzeug dabei geschleppt.[5] Ab Oktober 2003 lief ein mehrmonatiges Testprogramm mit den 189 004 und 007 in den Niederlanden.[6] Ab der 189 061 wurden die Maschinen mit nur noch zwei statt vier Stromabnehmern ausgeliefert, da diese Lokomotiven vorerst nur noch in Deutschland eingesetzt werden sollten. Am 14. Dezember 2005 wurde mit der 189 100 die letzte Lokomotive der Baureihe 189 an Railion übergeben. Zu diesem Zeitpunkt hatten in 16 Ländern Zulassungs- und Präsentationsfahrten stattgefunden.[7]
Im April 2006 erhielten die ersten Lokomotiven ihre Zulassung für die grenzüberschreitende Strecke Bad Schandau–Děčín (Elbtalbahn). Damit kamen die Lokomotiven erstmals auch unter der Fahrleitungsgleichspannung von 3 kV zum Einsatz. Einschränkungen bestanden jedoch noch hinsichtlich Höchstgeschwindigkeit (100 km/h), der Anzahl einsatzfähiger Fahrmotoren (mindestens drei) und des Verbots der Nutzung der elektrischen Bremse.
Ebenfalls im Jahr 2006 erteilte die DB an ein Konsortium aus Siemens und Alstom den Auftrag, 26 Lokomotiven der Baureihe 189 mit dem europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS auszurüsten.[8] Zusammen mit der Umrüstung von 22 niederländischen Lokomotiven der Reihe 6400 umfasste der Auftrag ein Volumen von rund 30 Millionen Euro. 2007 begann DB Cargo (damals Railion) mit der Umrüstung von 26 Mehrsystemlokomotiven der Baureihe 189 auf ETCS.[9][10] Zum Fahrplanwechsel im Dezember 2009 nahm DB Cargo (damals DB Schenker Rail) weitere 32 mit ETCS ausgerüstete Lokomotiven der Baureihe 189 in Betrieb, die in Deutschland und den Niederlanden eingesetzt werden können.[11] Darüber hinaus waren für den Schweizverkehr zehn Lokomotiven mit ETCS ausgerüstet.[12] Im September 2021 schrieb DB Cargo die Ausrüstung von 32 Lokomotiven mit ETCS (einschließlich ETCS Level 3 und Zugintegritätsüberwachung) aus, mit Optionen für 70 weitere Maschinen sowie ATO GoA 2. Die 32 Maschinen sollen bis Dezember 2024 ausgerüstet werden, um in Polen und Tschechien mit ETCS in Bereichen ohne konventionelle Signalisierung eingesetzt zu werden. Die Ausrüstung der übrigen 70 Lokomotiven soll ggf. bis Dezember 2026 erfolgen.[13][14] Im Mai 2022 wurde das Vorhaben erneut ausgeschrieben.[15][16]
Damit die Lokomotiven auch in den Niederlanden eingesetzt werden dürfen, erhielten sie zusätzlich das niederländische Zugbeeinflussungssystem ATB. Zudem benötigen die Lokomotiven entsprechend den niederländischen Vorschriften komplett weiße Fronten. Die Betuwe-Route, auf der auch die 189 verkehren, ist Teil der Zugverbindung Rotterdam (NL)–Genua (I).
Zwischenzeitlich verkaufte DB Cargo zehn Lokomotiven der Baureihe 189 an MRCE, die zunächst selbst wieder angemietet wurden, inzwischen aber für andere Betreiber als Dispoloks im Einsatz sind. Unter anderem wurden mit diesen Maschinen Züge der seit Dezember 2016 eingestellten City Night Line bespannt (z. T. auch in Doppeltraktion). Bei den dort eingesetzten Lokomotiven wurden auch Aufkleber mit dem CityNightLine-Logo aufgebracht. Alle Loks der Baureihe 189 tragen bereits die neuen UIC-Nummern wie z. B. 91 80 6 189 092-0 D-DISPO. Im Jahr 2021 wechselten die Lokomotiven im Tausch für Lokomotiven der Baureihe 187 wieder in den Bestand der DB, nachdem sie bereits vorher für einige Monate gemietet wurden.[17][18][19]
Zwei Lokomotiven dieser Baureihe, 189 065 und 074, waren im Dezember 2012 an einem Bahnübergangsunfall in Düsseldorf-Eller beteiligt.
Da die Lokomotiven der Baureihe 189 relativ zugkräftige Elektrolokomotiven sind, werden sie in Zukunft die Maschinen der Reihe 151 auch vor den 6000 Tonnen schweren Erzzügen ersetzen, die eine Lokomotive der Reihe 185 nicht bewältigt.
Auch bei anderen Bahngesellschaften in der Schweiz, Italien, den Niederlanden und Schweden sind Lokomotiven dieses Typs im Einsatz.
Bei den SBB sind die Loks dieses Typs als Re 474 (Auslieferung seit Mai 2005) im Einsatz. Hier waren zunächst 18 Maschinen bestellt, es wurden jedoch aufgrund von Verzögerungen bei der Zulassung in Italien und anderer Probleme nur 12 übernommen. Die anderen sechs wurden von Siemens inzwischen an Hector Rail[20] (Schweden, zwei Loks), Impresa Ferroviaria Italiana (Italien, drei Loks) und NordCargo (Italien, eine Lok) verkauft. Die Re 474 sind jedoch nur in der Schweiz und Italien zugelassen und besitzen deshalb auch nur Stromabnehmer für diese beiden Länder.
Das Leasingunternehmen MRCE (ursprünglich Siemens Dispolok) vermietet Lokomotiven dieses Typs an die verschiedensten Eisenbahnunternehmen. Zeitweise machte hierbei vor allem DB AutoZug von sich reden, die von Dispolok die Lokomotive ES64F4-020 mietete, um ein Zugpaar von Hamburg-Altona bis Rijeka in Kroatien ohne Lokwechsel durchbinden zu können. Man musste hierbei auf eine mit den passenden Länderpaketen ausgestattete Maschine von Dispolok zurückgreifen, da die damalige DB Schenker Rail (heute DB Cargo) keine entsprechend ausgerüsteten 189er besaß. Die ES 64 F4 020 erhielt aus diesem Anlass zudem eine Teilflächen-Sonderlackierung auf den Kastenlängsseiten. MRCE verfügt über 45 Lokomotiven dieses Typs. Hiervon sind wiederum je fünf Maschoinen an die italienische Bahngesellschaft Rail Traction Company und an Lokomotion verkauft worden. Die weiteren 35 stehen für diverse Anbieter in ganz Europa im Einsatz, unter anderem für Veolia für Einsätze nach Frankreich, die polnischen Unternehmen CTL mit 5 Lokomotiven, Lotos Kolej mit 7 Lokomotiven und PKP Cargo mit 8 Lokomotiven,[21] oder City Night Line für Fernverbindungen in den Niederlanden.
Ein außergewöhnliches Einsatzgebiet für die Lokomotiven ergab sich vor den Eurocitys auf der Brennerbahn. Seit dem Fahrplanwechsel 2009 werden die Züge auch auf dem italienischen Abschnitt von DB und ÖBB betrieben und durchgehend mit ES64F4 (in Italien als E.189 bezeichnet) bespannt. Die Maschinen sind von Nordcargo bzw. MRCE Dispolok gemietet und wurden ab Juni 2010 schrittweise durch ÖBB 1216 (in Italien E.190) ersetzt. Zum Fahrplanwechsel 2013/2014 wurden kurzfristig 1016/1116 eingesetzt, da die 1216 der ÖBB in Linz auf den ETCS-Einbau warteten.
Siemens Dispolok erreichte Ende 2003 eine Zulassung der Lokomotiven in der Schweiz.[22] Nach entsprechenden Versuchsfahrten in der Schweiz war die Lokomotive ES 64 F4 001 von 24. Juni 2003 bis Ende Januar 2004 zu Versuchsfahrten in Italien eingesetzt.[23] Nach der Zulassung wurde der Betrieb am Brenner am 6. Mai 2004 mit den Lokomotiven ES 64 F4 002 und 004 aufgenommen.[24] Am 10. Januar 2005 verkehrte mit der ES 64 F4 001 erstmals eine ES 64 F4 durchgehend von Deutschland nach Italien (Verona).[25]
Während die Deutsche Bahn ihre Lokomotiven der Baureihe 189 zunächst nur im Inland einsetzte, kamen Maschinen von Dispolok ab Anfang 2004 im europäischen Verkehr zum Einsatz.[26]
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